„Sei perfekt!“ und „Sei stark!“ – zwei innere Antreiber, die vielen Lehrpersonen nicht fremd sind. Diese oft tief verankerten Glaubenssätze treiben uns an, stets unser Bestes zu geben und auch in schwierigen Situationen keine Schwäche zu zeigen. Doch gerade im Kontext Schule können diese Motive schnell zur Falle werden. Denn das Schulsystem, wie es heute funktioniert, lässt Perfektion und Unfehlbarkeit gar nicht zu.
Ein System am Limit
Ressourcenmangel, krankheitsbedingte Ausfälle von Kolleginnen, steigende Herausforderungen bei der Betreuung von Schülerinnen – die Liste der Belastungsfaktoren ist lang. Und obwohl Lehrkräfte in einem Überforderungssystem arbeiten, das auf Kollaboration und Abstriche angewiesen ist, versuchen viele, allen Ansprüchen allein gerecht zu werden. Besonders junge Lehrpersonen setzen sich oft unrealistische Ziele: Sie möchten jedes Kind individuell fördern, den Lehrplan punktgenau umsetzen, jede Stunde perfekt vorbereiten – und gleichzeitig die eigene emotionale Stabilität bewahren.
Die Folge: Erschöpfung
Wenn diese inneren Antreiber unreflektiert bleiben, ist der Weg in die Erschöpfung vorgezeichnet. Der Wunsch nach Perfektion und das Vermeiden jeglicher Schwäche rauben Kraft, ohne dass eine Lehrperson je das Gefühl hat, wirklich anzukommen. Stattdessen entsteht ein ständiger Kreislauf aus Überforderung und Schuldgefühlen: „Warum schaffe ich das nicht?“, „Wieso kann ich nicht stärker sein?“. Diese Fragen stellen sich vor allem junge Lehrer*innen, die oft mit großer Motivation in den Beruf starten und schnell an die Grenzen stoßen.
Die Arbeit an den inneren Antreibern
In meinem Coaching erlebe ich immer wieder, wie wichtig es ist, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Der erste Schritt: Akzeptanz. Niemand kann in der heutigen Schulrealität alles perfekt machen oder ständig stark bleiben. Es ist in Ordnung, Grenzen zu setzen – und notwendig, um langfristig gesund und leistungsfähig zu bleiben.
Ein zentrales Ziel meiner Arbeit ist es, Lehrpersonen darin zu unterstützen, die inneren Antreiber zu hinterfragen und zu relativieren.
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„Sei perfekt!“ darf zu „Mach es gut genug“ werden. Denn „gut genug“ reicht oft vollkommen aus, um den Kindern einen sicheren und lernfördernden Raum zu bieten.
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„Sei stark!“ kann durch „Sei authentisch“ ersetzt werden. Schwäche zu zeigen, ist menschlich und lädt auch die Schüler*innen dazu ein, authentisch zu sein.
Ein neuer Blick auf den Beruf
Letztlich geht es darum, den eigenen Anspruch mit den Realitäten des Schulalltags zu versöhnen. Perfektion und Unfehlbarkeit sind unerreichbar – und das ist okay. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass Lehrpersonen keine Superheld*innen sein müssen, sondern Menschen mit Ecken, Kanten und Grenzen.
Nur wer für sich selbst sorgt und Raum für Imperfektion lässt, kann langfristig auch für andere da sein. Und das ist vielleicht die wertvollste Lektion, die wir unseren Schüler*innen vermitteln können.